Belletristik
JoFrancis und die Schriftstellerei
Seit der Steinzeit, wo immer Menschen aufeinandertrafen, erzählten sie sich Geschichten: mündliche Überlieferungen, Legenden, Handschriften. Geschichten erschließen uns die Welt und die Menschen, mit denen wir sie teilen, lösen Emotionen aus oder regen zum Nachdenken an, aber vor allem unterhalten sie uns. Als Zwanzigjähriger wollte ich Schriftsteller werden, bis ich eines Tages eine Fotokamera in die Hand bekam.
Ich entschied mich für die Fotografie; das Malen mit dem Licht. Dennoch blieb ich der Literatur immer sehr verbunden.
Es ist ihrer Vielschichtigkeit zu verdanken, dass der Funkenregen der Ideen von der einen Kunstform in die andere zu springen vermag.
Dem Pendel zwischen Bild und Wort bin ich stets gefolgt, leidenschaftlich und in beide Richtungen, bis ich eines Tages für mich herausfand, wie ich ohne Kamera, Dank einer bebilderten Sprache, Geschichten zu erzählen vermochte. Da wendete sich das Blatt.
Der autobiografische Künstler-Roman
von JoFrancis van den Berg
Stille Wahrheit; lautes Schweigen
von JoFrancis van den Berg
Der Beginn von "Stille Wahrheit; lautes Schweigen" (ehem. Der scharlachrote Vorhang) macht Lust auf mehr. Es geht um eine Familie mit drei Kindern. Im Mittelpunkt steht der junge Joost, der in seinen ersten Lebensjahren an einer Trichterbrust litt, zu deren Behandlung er in einem Korsett an der Decke aufgehängt
wurde. In einer Vorausblende erfahren wir, dass auch ein viertes Kind krank zur Welt kommen wird – und dass zuvor bereits zwei Kinder kurz nach der Geburt verstorben sind, darüber hinaus hat die Mutter sechs Fehlgeburten erlitten.
Es liegt etwas unheimlich über diesem Text. Die Familie wirkt einerseits harmonisch, andererseits versehrt, auf geheimnisvolle Weise angezählt. Gott und der Teufel scheinen stets bereitzustehen, mit Jo Francis Figuren zu spielen. Der Autorführt uns langsam, fast tastend, mit präziser und poetische Sprache, an das Herz der Erzählung heran. Herzlichen Glückwunsch!
Rezession von der Autorenschule Textmanufaktur
Franziska Gerstenberg, Schriftstellerin aus Dresden
Céline Meiner, Literaturagentur Brauer hamburg
André Hille, Gründer der Autorenschule "Textmanufaktur"
Lesen Sie auch das Interview mit
Ann-Kathrin Marr vom 04. April 2023
Die behütete Welt des fünfjährigen Joost gerät durch ein traumatisches Ereignis aus den Fugen, als seine Mutter ihre sechste Fehlgeburt nur knapp überlebt. In seiner Jugend gelingt es ihm, das Erlebte mittels seiner poetischen Fantasien zu verarbeiten. In seinem kreativen Beruf als Werbefotograf gerät sein Weltbild immer wieder ins Wanken, bis er sich am Ende seiner Poesie besinnt und dank ihr sein ersehntes Glück findet.
Auszug aus der Kurz-Zusammenfassung
Joost hatte vor einigen Monaten die Kohlenmänner beobachtet. Sie waren mit schriller Hupe vorgefahren, hatten direkt vor dem Kellerloch angehalten, um dort säckeweise den Nachschub über das gebogene Blech hinunterzuschütten. Gestalten, die dunkle Kleider und breite Kapuzen trugen, welche sie – jedes Mal, wenn sie erneut einen Sack schulterten – tief über ihre Stirn hinunterzogen. Der Anblick dieser Burschen war ihm unheimlich. Sie flachsten herum, wobei ihre Kulleraugen und weißen Zähne aus ihren schwarzen Gesichtern strahlten. Das wiederum amüsierte Joost. Bei jedem Wurf in das Kellerloch stieg eine Staubwolke auf, welche an der Öffnung zur Straße leuchtende Lichtzungen bildete, bevor der Schleier sich endgültig auf die Kohle ablegte, als wolle er drohendes Unheil verhüllen. Leon bückte sich. Er schaufelte Schippe für Schippe, bis der Eimer randvoll war. Plötzlich stieß er seinen kleinen Bruder an: »Pscht, schau: Da hat sich was bewegt unter dem Kohlehaufen.«
Joost schreckte auf, griff Léon fest am Arm, das Herz klopfte ihm bis zum Hals und gebannt starrte er auf das schwarze Gestein, während Leon verschmitzt lächelte. Sie huschten die Treppe hinauf, zurück in die Stube.
Seitdem plagte Joost wieder und wieder folgender Albtraum: Léon hätte ihn eines Tages hinuntergeschickt: »Du bist jetzt alt und stark genug, das schaffst du!«
Seine Feigheit tapfer überwindend wäre Joost die Kellertreppe hinab marschiert, hätte am Kohlehaufen den Eimer abgestellt und sofort zu schaufeln angefangen, was das Zeug hielt. Am Ende hätte er ein mulmiges Gefühl bekommen, denn nach der letzten Schippe hätte sich der Kohlehügel urplötzlich in Bewegung gesetzt; eine langsame Auf- und Abwärtsbewegung. Eine Rauchwolke wäre aus dem schwarzen Haufen emporgestiegen, als dieser aufbrach wie ein Vulkan. Unheimliches Licht wäre entwichen. Der glühende Dreizack, von einer geballten Faust mit verkrümmten Krallen umklammert, hätte die Kohleschicht durchstoßen: Es war der Teufel höchstpersönlich, der dort emporgekrochen kam und mit furchterregenden Augen sein Opfer fixierte. Daraufhin hätte Joost panisch die Flucht ergriffen, den Teufel auf den Fersen. Es wäre ihm vorgekommen, als wäre die Treppe auf einmal unüberwindbar lang, um mindestens hundert Stufen angewachsen. Wenn er bloß die Kurve erreichen würde, hatte er noch geglaubt, würde er sich in Sicherheit wiegen. Dort angekommen, hätte er leider festgestellt, dass er seine Füße nicht mehr zu bewegen vermochte, sie klebten an der Treppe fest. Er hätte wieder und wieder gezogen, war aber keinen Deut von der Stelle gekommen. »Die Schuhe! Ja, die Schuhe«, hatte er sich zugeflüstert, er müsste sich schnellstens von seinen verdammten Schuhen befreien. Seine Schnürsenkel waren verknotet, er würde zu viel Zeit benötigten, sie auseinander zu friemeln. Der Teufel war ihm so nahe, dass seine furchtbaren Krallen ihn bald greifen konnten ...
Und dann passierte es – immer an dieser Stelle – dass Joost schweißgebadet aufwachte aus seinem Albtraum. Minutenlang wähnte er sich noch auf der Flucht vor dem Teufel. Niemals und niemals wieder würde er diesen Ort noch einmal betreten!
»Meinen Lungen bekommt dieser staubige Keller nicht«, hatte er seinem Bruder und seinen Eltern vorgegaukelt.